Teil 1 – Stralsund im Dieselruß

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Teil 1 – Stralsund im Dieselruß
Teil 2 – Eine alte Bekannte
Teil 3 – Dieselruß unter der Strippe
Teil 4 – Dampfloküberführung nach Stralsund
Teil 5 – Stralsund nach der Wende

Aufgeschrieben und bebildert von Achim Rickelt:
Heute würde man es Feinstaub nennen. 1988 rußten die verschiedensten Dieselloks in Stralsund umher. Aber das sollte nicht mehr lange Bestand haben. Grund genug für uns, uns das mal näher anzuschauen.

1988 wurde die Eisenbahn in Stralsund 125 Jahre alt. 1863 erreichte der Schienenstrang aus Richtung Angermünde / Pasewalk die Hansestadt am Sund. 1988 wurde das natürlich auch entsprechend gefeiert, dazu später aber mehr.

1988 vollzogen sich in Stralsund aber auch andere tief greifende Umwälzungen in der Eisenbahnlandschaft. Das war wohl der Hauptgrund für mich, bei meinen vielen Fahrten in die Hansestadt auch immer mal wieder den Fotoapparat mitzunehmen.

Die in den 80er Jahren wieder forcierte Streckenelektrifizierung erreichte den Sund. Schon im Frühjahr 1988 wurde in und um Stralsund überall gebaut. Die Bauzüge zur Elektrifizierung rollten und der Bauzugabstellplatz am ehemaligen Kleinbahnhof Stralsund Ost war vollgestellt mit Donnerbüchsen und sonstigen Wohnwagen.


Aus dem Bw Neubrandenburg kommt 132 319, die hier mit einem Güterzug in den Bahnhof Stralsund einfährt. Da sie nicht den Güterbahnhof anläuft, vermute ich, dass sie ihre Fahrt in Richtung Rostock fortgesetzt hat.


Fotografisch keinesfalls eine Meisterleistung ist dieses Foto von 132 369 ( Bw Neubrandenburg ), die Ende April 1988 den Bahnhof Stralsund erreicht. Allerdings bin ich froh, diese Lok noch lebend erwischt zu haben. Anfang 1989 stieß sie in Samtens mit der Stralsunder 110 116 und einem Bauzug zusammen, was für beide Loks das Aus bedeutete. 132 369 stand noch lange in Stralsund auf dem Paschenberg abgestellt, bevor sie schließlich verschrottet wurde.


Aus Rostock hingegen ist 132 247 ( Bw Rostock ) eingetroffen. Sie wird sogleich ins Bw Stralsund rollen, wo nach Möglichkeit immer gedreht wurde, damit man nicht vom Führerstand 2 mit den lauten Lüftern im Rücken fahren musste.


Ein Exot für unsere Gegend war 114 774, die 1988 für kurze Zeit vom Bw Rostock aus zum Einsatz kam und als Schlusslok die Hansestadt wieder verlassen sollte.


Eine waschechte Stralsunderin und langjährige Planlok ist hingegen 112 737, die hier mit einem Personenzug in Richtung Süden auf Ausfahrt wartet.


Während im Hintergrund schon der Hubschrauber von der Interflug ( Sektion Kranflug ) die Quertragwerke setzt, erreicht 118 572 mit einem Personenzug aus Saßnitz die Stadt Stralsund.

Mich interessierten hauptsächlich Dampfloks, die sich in Stralsund aber höchstens im Rahmen von Sonderfahrten oder zu den jährlichen Ausstellungen zum Tag des Eisenbahners sehen ließen.
Der Beginn unserer Arbeit an 03 1090 im Bw Stralsund eröffnete mit aber fortan Möglichkeiten, die meinen weiteren Berufsweg nachhaltig beeinflussen sollten. Als Abfallprodukt sozusagen, entstanden dabei viele Fotos von Dieselloks, wahllos und ohne besondere Emotionen.

Als Auftakt diente ein Besuch mit einigen meiner Mitstreiter an der 03 in der Nähe des Abzweigs Srg vor Stralsunds Bahnhofseinfahrt. Dort bündeln sich die Gleise aus Richtung Berlin über Neubrandenburg ( Nordbahn ) und Pasewalk einerseits und vom Hauptbahnhof und vom Rügendamm andererseits. Auch das Gleis vom Stralsunder Güterbahnhof, der westlich parallel zum Hauptbahnhof lag, hatte hier schon die Schienenstränge in Richtung Berlin erreicht.

Es wurde alles vor die Linse genommen, was so vorbeifuhr. Von der 106 bis zum 172 gab es ein reichhaltiges Angebot und für die Dieselfans wird wohl für fast jeden Geschmack etwas dabei sein. Stundenlang wurde an einem Aprilnachmittag ins Geschehen reingehalten. Als Podium diente uns eines der neu gegossenen Mastfundamente.


Der Bilderreigen von diesem Fotopunkt wird eröffnet von 132 419 ( Bw Neubrandenburg ), die mit einem Reisezug von der Nordbahn in die Stralsunder Einfahrt einbiegt.


In Richtung Pasewalk trommelt 120 216 ( Bw Angermünde ) an uns vorbei. Der warme Frühlingstag lässt den Angermünder Kollegen eine überaus lässige Haltung einnehmen.


Von der Pasewalker Schiene rollt 112 460 ( Bw ? ) mit einem Personenzug heran. Man beachte auch hier den schönen alten Packwagen.


Ludmillapower mit 132 547 ( Bw Stralsund ) unterwegs in Richtung Pasewalk, wo damals die meisten Züge schon an die elektrische Traktion übergeben wurden. Das Stellwerksdach des Abzweigstellwerks Srg lugt über dem Zug hervor. Hier zweigte ein Gleis zum Rügendamm ab, das von einigen direkt durchfahrenden Zügen genutzt wurde. Die meisten Züge von und nach Rügen machten aber am Hauptbahnhof Kopf.


Das Bw Pasewalk besaß mit 132 709 damals die jüngste 132. Mit ihr endete die Lieferung dieser Baureihe an die Deutsche Reichsbahn. 132 709 steuert gleich den Güterbahnhof an und wechselt hier gerade über die Gleisverbindung, um links in den Güterbahnhof zu gelangen.


Die täglichen Übergaben im Nahbereich gehörten zum Aufgabengebiet der Stralsunder Rangierloks der BR 106. Viele 106-Lokführer erwarben für die abwechslungsreicheren Streckenfahrten extra eine C-Lizenz. Andere Kollegen kamen mit ihren V 60 nicht über die Bahnhofsgrenzen hinaus. 106 622 macht sich gerade auf den Weg nach Miltzow, das auf diese Art von Stralsund aus bedient wurde.


120 019 war Ende der 60er die erste V 200, die nach Stralsund beheimatet wurde. Auch 1988 war sie noch für das Bw Stralsund im Einsatz und wird hier von dem bekannten Stralsunder Lokführer und Hobbyfotografen Fritz Witt geführt.


Eine langjährige Stralsunder Planlok war 132 490, „die Ente“, die sich mit einem D-Zug in Richtung Berlin auf den Weg macht. Die 490 gehörte über viele Jahre auch zu den besonders gut gepflegten Loks des Bw.


Auch einer der Stralsunder LVT knattert an uns vorbei. 172 135 fährt die tägliche Leistung nach Rakow bei Grimmen.


Bevor wir noch eine Einfahrt aus Richtung Pasewalk erleben, wird erstmal noch die 118 572 mit einem Personenzug nach Wolgast Hafen aufgenommen.


132 547 ist von ihrer Leistung zurück und hat schon das Richtungsgleis für die Ausfahrt erreicht. Gleich wird sie noch weiter nach links wechseln und das Bw Stralsund von hinten erreichen. Da Einfahrten in das Bw sicherungstechnisch nicht möglich waren, wird die Lok im Güterbahnhof hinter das Ausfahrsignal fahren und von dort per Rangiersignal ins Bw gelangen.

Das Bw Stralsund 1988

Es war eines der ganz großen Bahnbetriebswerke der Deutschen Reichsbahn. Das Bw Stralsund an den südlichen Einfahrgleisen zwischen den Ausfahrten vom Personen- und Güterbahnhof etwas eingezwängt gelegen, wies schon allein von der Ausdehnung her auf seine Bedeutung hin. Das Mutter-Bw hatte drei Ringlokschuppen, die mehr oder weniger verfallen heute immer noch stehen, etliche Freigleise und die Abstellanlage am Paschenberg, die damals luftige Heimat unserer 03 war.

Der Lokschuppen 1, der erste vom Bf. aus gesehen, hatte eine 16 m Drehscheibe und beheimatete 1988 ausschließlich deutsche Lokomotiven und Triebwagen. Hier wurden Folgende BR ( in Klammern die heutigen BR-Bezeichnungen ) abgestellt und unterhalten: 101/102 ( 311/312 ), 105/106 ( 345/346 ), 110/112 ( 201/202 ), 118 B`B` und C`C` ( 228 ), 172 ( 772 ) und fallweise Werkloks Stralsunder Betriebe der Bauarten V 10 B, V 18 B und N4 .


Wer in das Bahnbetriebswerk wollte, überquerte in der Regel die lange Fußgängerbrücke, die die Ausfahrten in Richtung Berlin und Rügen, sowie die Zu- und Ausfahrt des Bw überspannte. Diese Fachwerkträgerbrücke bestand aus Teilen der ehemaligen Peenebrücke der Greifswald-Jarmener Kleinbahn, die bis 1945 den Zügen vor dem Bf. Jarmen die Überfahrt über den Fluss ermöglichte. Von dieser Brücke herunter geht unser Blick sogleich in Richtung Lokschuppen 1. An der Lokmeldestelle steht gerade 142 005, deren Lokführer sich hier telefonisch beim Bf. für die Bespannung anmeldet. An der Drehscheibe auf den Freigleisen steht u.a. 106 113.


Von der Brücke herunter ließ sich die gesamte Südausfahrt perfekt einsehen. 118 520 ( Bw Neubrandenburg ? ) verlässt Stralsund auf dem Richtungsgleis über Pasewalk. Ein späteres Überwechseln in Richtung Nordbahn war aber am Abzw. Srg. wohl noch möglich.


Die BR 120 war 1988 noch ziemlich häufig eingesetzt. 120 058 wird 1989 die letzte Planlok dieser Baureihe in Stralsund sein. Hier kommt sie mit einem Zug von der Insel Rügen in den Bf. gefahren und unterquert mal wieder die Bw-Brücke.


Lokparade im Schuppen 1. Hier ist nichts gestellt. Das Foto zeigt die normale Situation an einem Sommertag 1988. Dass gleich drei 110 nebeneinander stehen, kann 1988 schon als Besonderheit gelten. Das Bw beheimatete schon deutlich mehr 112, als 110. vlnr. 172 135, 110 837, 110 116, 110 608 und 106 113.

Der Lokschuppen 2 war nicht mehr in Gänze für Lokomotiven nutzbar. Nur 7 Lokstände in der rechten Hälfte des Schuppens wurden für die Lokwartung aller Baureihen genutzt. In recht kurzen Zyklen fuhren die Betriebsloks diesen Schuppen an, wo Öle ergänzt und kleinere Wartungsarbeiten durchgeführt wurden. Der Aufenthaltsraum der Wartung stand vor dem Schuppen und bestand aus dem ehemaligen Triebwagen 186 005, der ohne Antriebsanlage und Führerstände bis 1990 als Unterschlupf für die Kollegen diente.


Am Giebel des Lokschuppen 2 ruht sich 118 572 aus. Das Bw Stralsund beheimatete nur relativ wenige 118. 1988 waren hier folgende 118 zu finden: 118 077, 118 105, 118 523, 118 531, 118 547 ( z ), 118 572 und 118 769 Letztere war die einzige sechsachsige Vertreterin. 118 077 ging 1988 an das Museum für Verkehr und Technik in Berlin ( West ), wurde dort aber bald durch 118 075 ersetzt.


Wenn Abstellplatz knapp war, das war eigentlich fast immer der Fall, fand man auch vor den Werkstätten im Lokschuppen 2 so manche Lokomotive abgestellt.
Schon wieder hat sich 106 113 zu 110 026 und 110 123 dazugesellt. Alle drei waren 1988 bzw. 89 Reserveloks im Bw Stralsund und eigentlich sporadisch in den verschiedenen Dienststellen des Bw anzutreffen.

Der Schuppen 3, der bis 1980 Heimat der Dampfloks der BR 03.0 war, hatte eine 23 m Drehscheibe aufzuweisen und diente zum Abstellen und zur Unterhaltung der „Großrussen“. Also alles, was einen sowjetischen Ursprung hatte, wurde hier behandelt. Ab Ende 1988 zogen hier auch die Elloks ein.
Somit waren hier 1988 folgende BR zu finden: 120 ( 220), 132 ( 232 ), 142 ( 242 ) und 243 ( 143 ).
Die BR 120 war ursprünglich im Schuppen 1 heimisch, zog aber nach dem Ende der Dampflokunterhaltung in den Schuppen 3.


106 427, langjährige Stralsunder Stammlok am Ablaufberg, rangiert hier auf dem Zufahrtsgleis zum Bw unter der Heiztrasse hindurch. Statt der Heizleitung schwingt sich heute die vierspurige Ortsumgehung an dieser Stelle über das Gelände.


Ein Bild das es eigentlich gar nicht geben dürfte. Am 26. April 1988 stieß 132 556 bei Ferdinandshof frontal mit 132 163 ( beide Bw Stralsund ) zusammen. Der Lokführer der 132 556 vor D 502 ( Saalfeld – Stralsund ) hatte ein Hauptsignal missachtet und war im eingleisigen Behelfsbetrieb frontal mit der 132 163 vor D 715 ( Binz – Leipzig ) kollidiert. 1 Toter und 28 Verletzte waren zu beklagen. Während 132 163 so schwer beschädigt war, dass sie vor Ort verschrottet werden musste, konnte 132 556 auf eigenen Achsen ins Heimatbetriebswerk geschoben werden. 120 058 erledigte diese traurige Aufgabe und brachte die Reste der 132 163 in zwei Güterwagen gleich mit zur Verwertung. Die 132 556 wurde in Stralsund ausgeschlachtet und später zerlegt. Das Foto vom 30. 4. 88 sorgte bei unserem Hauptingenieur für Stirnrunzeln. Er belehrte mich, dass man sowas gar nicht fotografieren dürfe und ließ den Abzug schnell wieder im Bilderstapel verschwinden.


Scheinbar ein ganz normales Foto von 120 081 vor einem einfahrenden Zug…


…aber was versteckt sich dort im Zugverband? Eine tschechische BN 150 wird als Rangierlok für den Baustellenverkehr gleich mitgebracht. Der Bauzug gehört zur Elektrifizierung.


Eine der vielen 132 des Bw Stralsund war 132 347. Übrigens hatte das Bw gleich drei 132 mit der 47 im Bestand. 132 147, 132 347 und 132 547. In Rostock gab es gleichzeitig die 247.

Verschiedene Werkstätten waren über das Bw-Gelände verteilt und unter der Brücke am Paschenberg fand man die Tankanlage für die Dieselloks. Die Tanks waren eine Etage höher auf der Abstellanlage platziert worden.


Weiter hinten im Bw rangiert 112 392 von der Tankstelle ( unter der Straßenbrücke im Hintergrund ) zum nächsten Einsatz. Die Treppe rechts im Bild führt auf die Hochfläche der Abstellanlage.


Dort oben stand in den 80ern auf einem der Gleise die 03 1090. Sie wechselte immer mal wieder den Platz und wurde immer dort hingestellt, wo gerade Platz war. Hier steht sie am Hang zum Güterbahnhof.

Gemeinsam mit vielen Einsatzstellen stellte das Bw Stralsund eine der größten maschinentechnischen Dienststellen der DR dar. Heute ist hier nichts mehr in Betrieb und wie zum Hohn schwingt sich die vierspurige Ortsumgehungsstraße quer über das Bw-Gelände. Für die wenigen dieselgetriebenen Fahrzeuge reicht ein kleiner Kessel und eine Tankstelle, die weiter in Richtung Bahnhof angeordnet ist.

Texte und Bilder von Achim Rickelt

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